Dieses Jahr im März bin ich krank geworden. Es begann nicht wie sonst mit langsam ansteigenden, anfangs kaum merklichen Symptomen, sondern mit einem harten Szenenwechsel von einer Sekunde auf die andere. Samstag, Frühlingswetter, wir waren spazieren gewesen und hatten gerade auf einer Café-Terrasse ein Getränk bestellt. Als es serviert wurde, begann ich mit einem Mal vor Kälte zu zittern und mein Kreislauf sackte ab. Das Getränk habe ich nie angerührt.
So begann eine wochenlange, schwere Krankheitsphase, die mich vom heimischen Bett ins nächste Krankenhaus und dann schließlich auf die Intensivstation einer Fachklinik brachte. Über Wochen war ich aus allem herausgerissen. Komplett weg vom Fenster und voller Ungewissheit: Was war da plötzlich los? Wie konnte ich so krank werden? Warum habe ich im Vorfeld nichts davon bemerkt? Am Ende habe ich Glück gehabt und bekam die medizinische Hilfe, die ich brauchte. Ich konnte mich erholen und wurde wieder gesund.
Ich habe mich über jeden einzelnen Genesungswunsch, der mich in der Zeit erreicht hat, gefreut. Manche Freundinnen und Freunde haben mir fast täglich geschrieben und mir Mut gemacht. Mir haben diese Nachrichten sehr geholfen, über die schlimmste Zeit hinwegzukommen. Ab und zu waren auch Botschaften dabei, in denen ich ermahnt wurde, nun bitte auf den “Wake-up-Call” meines Körpers zu hören. Ich solle mich von nun an ausschließlich um mich selbst kümmern, mich zur Nummer eins erklären in meinem Leben.
Diese Variante des Glückwunschs brachte mich ins Grübeln. Die Annahme, ich habe irgendetwas nicht gehört, übertrieben oder ignoriert, schwingt dabei immer mit. Als hätte ich diese Krankheit mit meinem Lebensstil eingeladen. Ja, ich lebe, wie jeder andere Mensch auch, ab und zu über meine Grenzen: Beim Jonglieren von Erwerbs-und Carearbeit, beim Vollknallen meines Kalenders mit Terminen, in schlaflosen Nächten wegen Sorgen, und ab und zu auch beim ausgelassenen Tanzen auf Partys. Was Menschen halt so tun, wenn sie ihr Leben leben.
Was mich dabei irritiert, ist der suggestive Unterton, wenn vom "Alarmsignal des Körpers" die Rede ist. Nicht gesund zu sein wird schnell gelesen als “nicht genug auf sich aufgepasst zu haben”. Eine Verlängerung der alten Erzählung von der schwachen Konstitution der Frau, von ihrer psychosomatischen Sensibilität. Bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber dem strukturellen Druck, unter dem viele Frauen stehen und der ihnen wenig Spielraum für flexible Lebensgestaltung lässt.
Der Satz “Bitte höre jetzt auf das, was dein Körper dir sagen will” ist zwiespältig, denn er impliziert, dass man zuvor willentlich oder wissentlich nicht hingehört hat. Wer krank wird, hat sich nicht gut genug um sich gekümmert. Wer nicht gesund wird, hat etwas „noch nicht verstanden“.
Ja, es ist Realität, dass manche Menschen aufgrund ihres Lebenswandels einen Herzinfarkt bekommen. Es ist aber auch Realität, dass Menschen, die niemals geraucht haben, Lungenkrebs bekommen. Immer häufiger spielen Umweltfaktoren eine Rolle, bei vielen sind es genetische Umstände, die man nicht ändern kann. Und manchmal ist es einfach ein “biochemisches Roulette”, wie der an einem tödlichen Gehirntumor erkrankte Schriftsteller Wolfgang Herrndorf seine Erkrankung für sich persönlich eingeordnet hat.
Diejenigen, die von Krankheit betroffen sind, haben ohnehin schon genug zu tun mit Grübeleien und Selbstvorwürfen. Und es ist auch nicht so, als ob die Untersuchungen in Arztpraxen und Krankenhäusern frei wären von solchen Zuschreibungen. Überall wird in der Biografie gestochert, werden Gewohnheiten und Lebensumstände in Frage gestellt. Sobald man krank ist, stellt sich ja schon fast automatisch Scham ein. Ich denke da an früher, als ich öfter bei einer Erkältung zu hören bekam, dass ich mich "nicht warm genug angezogen" hätte und somit selbst Schuld sei.
Wie aber soll man gesund werden, sich wieder mit der Gesellschaft verbinden, wenn man in den Institutionen der Krankheit und den gesellschaftlichen Ritualen darum herum so viel Ausgrenzendes erlebt? Am Ende ist es so, dass man sich diese Art von Genesungswunsch einfach sparen sollte. Das Einzige, was eine erkrankte Person wirklich braucht, ist bedingungsloser Beistand. Ohne suggestive Untertöne, ohne ungefragte Ratschläge, ohne medizinisches Halbwissen, ohne Hinweise, wer da schon alles “dran gestorben” ist.
Der beste Trost bei Krankheit ist meiner Meinung nach Humor. Es hinzubekommen, einen kranken Menschen zum Lachen zu bringen, ihm oder ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, ist etwas Wunderschönes. Besser geht es nicht. Deswegen, liebe Leute: Wenn ihr trösten wollt, strengt euch an und arbeitet an eurer Fantasie und Unterhaltungsfähigkeit. Es macht wirklich einen Unterschied!