So long, SUPERMARKT!
Ja, SUPERMARKT großgeschrieben, weil es war ja nicht irgendein Gemüseladen um die Ecke, sondern dreizehn Jahre lang mein zweites Zuhause, meine Schule, mein Arbeitsplatz, Schauplatz meines Erwachsenwerdens.
Ich bin nicht gut im Tschüss sagen. Auf Partys bin ich die, die sich irgendwann wortlos verzieht und wenn mir was wirklich sehr am Herzen liegt, mag ich es kaum loslassen. Jetzt aber wird es Zeit, endlich Abschied zu nehmen von meinem größten Herzensprojekt bislang. Nachdem ich die Geschichte mehr als zwei Jahre lang in meinem Kopf gewälzt habe, will sie endlich mal raus an die frische Luft. Na gut… Los geht es.
Ich habe ewig gebraucht, diesen Text zu schreiben. Vor dem eigentlichen Schreiben immer wieder Worte gedanklich hin-und hergeschoben und sie doch niemals zu Papier gebracht. Ich habe es nicht mal geschafft, die Website zu aktualisieren. Da stand bis vor Kurzem immer noch die Kreuzberger Adresse und die letzten Event-Ankündigungen vom Februar 2023.
Tief in mir drin habe ich mich dafür geschämt. Dafür, dass ich aufgehört habe. Dass ich nicht mehr daran festgehalten habe. Dass ich keinen guten Abschied hinbekommen habe.
Wieso bin ich so schlecht darin, loszulassen? Ich denke heute, dass ich es lange nicht wahrhaben wollte. Und dass ich nicht wusste, wie ich mich von etwas verabschieden sollte, was mich und mein Leben (und auch das Leben meiner Familie) so sehr geprägt hat wie dieser Ort. SUPERMARKT in Großbuchstaben.
Im Jahr 2010 begann das Abenteuer. Gemeinsam mit Zsolt und David, meinen Partners in Crime, entdeckten wir in Berlin-Wedding ein leerstehendes Gebäude-Ensemble auf der Brunnenstraße, das uns sofort in seinen Bann zog. Es dauerte fast ein Jahr, bis wir den ehemaligen Maier’s Supermarkt und vier weitere Gewerbeeinheiten anmieten und diese in Coworking-Studios und eine Eventlocation umwandeln konnten.
Keiner von uns hatte irgendwelche Rücklagen oder Geld von zuhause. Wir hatten genau genommen nur das, was wir durch unsere Kreativjobs selbst erwirtschafteten. Hinzu kam, dass Zsolt und ich direkt in der Anfangszeit von SUPERMARKT Eltern wurden: unsere Tochter wuchs praktisch inmitten eines Veranstaltungsteams auf. Mit ihrem kleinen Lauflernwagen machte sie im stillgelegten Supermarkt ihre ersten Kilometer.
Ich habe im SUPERMARKT die aufregendste und anstrengendste Zeit meines Lebens verbracht. Ich war Programmdirektorin, Cafémitbesitzerin, Moderatorin und Mutter - alles in Personalunion. Ich konnte mir nichts Besseres vorstellen. Jede noch so abwegige Idee haben wir in diesen Räumen verwirklicht: Ausstellungen, Deadline Sprints, Konzerte, Dinners, Konferenzen, DIY Masterclasses, Booksprints, Money Talks, Fashion Shows, Shops in Shop - you name it.
Viele Jahre lang ging das so und irgendwann kam dann COVID-19. Das war der Wendepunkt. Als ich am 12. März 2020 unser erstes Event absagen musste (“let’s flatten the curve”), überkam mich zum ersten Mal Erleichterung bei der Aussicht, an dem Abend zuhause bleiben zu können. Und dann noch an vielen weiteren Abenden mehr. Die Räume des SUPERMARKT, der zwischenzeitlich an den Mehringplatz in Kreuzberg umgezogen war, standen leer. Und ich fühlte mich auf eine Art auch leer gespielt.
Eigentlich war damals schon die Zeit des Abschieds gekommen, aber ich zog das Programm noch drei Jahre lang digital durch. Wie das funktioniert hat, habe ich damals in einem Artikel für die Berliner Gazette aufgeschrieben. 2022 wurde unser Mietvertrag am Mehringplatz nicht mehr verlängert und es gab nicht mehr genug Energie und Perspektive, um das Projekt fortzusetzen. 2023 fand dann unser letztes offizielles SUPERMARKT-Projekt statt. Innerlich war mir klar, dass ich nicht mehr weitermachen wollte. Ich brauchte dringend eine Pause. Und so fand der SUPERMARKT ein stilles Ende. Es gab keine Abschiedsparty. Kein Social Media Posting. Die letzte Strophe ist einfach verklungen und ich habe nichts mehr hinzuzufügen gehabt.
Zwei Jahre lang war der Abschiedsschmerz in meinem Körper. Ich habe mich so sehr mit diesem Projekt identifiziert, dass ich es nicht gehen lassen konnte. Als wir den Mehringplatz räumten und mit etlichen Kisten in ein einfaches Büro umzogen, war es, als ob auch ein Teil von mir selbst in diesen Kisten verschwunden war. Wir hatten für den SUPERMARKT nie eine Exitstrategie und ich war nicht auf die Leere vorbereitet, die sich mit einem Mal einstellte. Auf diesen Zwischenraum, der sich auftut, wenn man eine Sache beendet und noch nichts Neues angefangen hat. Die Stille, die da ist, bevor das Alte beginnt, zu kompostieren.
Diesen Sommer kam dann ganz unvermittelt der Moment, als ich mich auf der SUPERMARKT-Website eingeloggt und angefangen habe, sie zu aktualisieren. Beim Durchlesen der vielen alten Texte und Blogbeiträge habe ich gelächelt. Ich fühlte Stolz aufsteigen und auch ganz viel Nostalgie. Endlich kam da in mir wieder etwas ins Fließen. Einen Tag später kam ich zufällig auf einen Social Media-Beitrag von Manuela Bosch, die ihre Erfahrungen mit Aufhören, Abwickeln, Kompostieren teilte. Das war für mich ein Augenöffner! In ihrem Post sprach sie genau darüber, was mich bewegte. “Ja, es ist erlaubt, es zu tun und darüber zu sprechen). Wir [Sozialunternehmer:innen, Transformationsbegleitende, Kulturschaffende, …] dürfen das!”
Beim Lesen stellte sich eine große Erleichterung ein. Das waren die Worte, die ich gesucht hatte. Das stimmt! Ich darf das auch. Ich kann Projekte nicht nur mit einem Big Bang starten, ich kann auch mitteilen, wenn die Energie dafür nicht mehr ausreicht und sie dann loslassen. Auch wenn ich noch nicht die richtigen Worte dafür hatte, weil ich selbst mitten in einem Veränderungsprozess war. Ich habe verstanden, dass der SUPERMARKT nicht nur ein Ort war, sondern vor allem ein Lebensgefühl. Die Essenz daraus begleitet mich nach wie vor, weil sie der Motor meines beruflichen Tuns geworden ist: Kreativität ermöglichen, außerhalb der Box denken, Menschen zusammenbringen, Gastgeberin sein, Risiken eingehen.
Danke Manuela, dass du dich getraut hast, diese Ankündigung zu machen. Ich stimme dir zu, dass wir einander beglückwünschen und Mut machen sollten, wenn wir etwas abwickeln und in eine neue Lebensphase eintreten. Es erfordert so viel Mut aufzuhören. Manchmal viel mehr, als etwas zu beginnen. Vor allem, weil es meist ein einsamer Prozess ist, über den von außen kaum positive Energie reinkommt.
Ich habe erst jetzt, nach Jahren, das eigentliche SUPERMARKT-Lebensgefühl verstanden. Den Zustand, die Haltung. Das Versprechen, dass nahezu alles möglich ist, wenn man es gemeinsam denkt. Was außerdem bleibt sind Begegnungen, Menschen, Projekte. Verbindungen und gemeinsame Referenzpunkte, die weit über den eigentlichen Ort hinausreichen. Die wichtigste Lernerfahrung war für mich: nicht klein denken und mich nicht klein machen, sondern die Vorstellungskraft kultivieren. Daran glauben, dass viel mehr möglich ist, als wir selbst oft denken.
In diesem Sinne: Danke an alle, die mit mir das Abenteuer SUPERMARKT möglich gemacht haben! Wir sollten aus der Website ein schönes Archiv aus dreizehn Jahren Konferenzen und Workshops rund um digitale Kultur und alternative Ökonomie in Berlin machen. Aber das ist ein anderes Thema...