Es ist Juni und ich stehe in einem Berliner Supermarkt an der Obsttheke. Ich will Äpfel kaufen, aber nicht nur zum Essen, sondern zur Veranschaulichung eines Sachverhalts. Die Äpfel sind Protagonisten einer Geschichte, die von globalen Lieferketten, genossenschaftlichen Alternativen und der Frage handelt, wie wir als Gesellschaft mit unseren Ressourcen umgehen. Äpfel sind ja schließlich auch die Lieblingsfrucht der Deutschen, also lasst uns loslegen:
Im Juni war ich eingeladen, einen Impulsvortrag für die Academy-Session Regenerative Alliances for Thriving Commons im Rahmen des Creative Bureaucracy Festivals zu geben. Es ging darum, ein Bewusstsein für die Commons zu schaffen, damit meine ich Gemeingüter, die nicht dem Staat oder dem Markt gehören, sondern gemeinschaftlich gepflegt und genutzt werden. Wie ein öffentlicher Gemeinschaftsgarten, ein offenes Saatgutarchiv oder eine solidarisch getragene Infrastruktur. In meinem Vortrag wollte ich diesen Gedanken greifbar machen.
So kam mir die Idee: Ich stelle dem Publikum zwei Äpfel vor. Den einen hatte ich in einem genossenschaftlich organisierten Lebensmittelmarkt in Berlin gekauft: einen Regionalapfel aus Brandenburg. Der andere kam aus dem konventionellen Supermarkt: Pink Lady®, importiert aus Südafrika, ausgestattet mit einem ® und einem herzförmigen Aufkleber.
Zwei Äpfel, äußerlich fast identisch. Und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Was ist die Geschichte dieser beiden Früchte? Welche Systeme stehen hinter ihnen? Und was erzählen sie uns über die Zukunft?
Pink Lady® vs. namenloser Regionalapfel
Der Pink Lady Apfel stammt aus Südafrika. Er ist das Ergebnis eines hoch optimierten, globalen Agrar- und Vertriebssystems, in dem Sortenschutz, Anbau, Vertrieb und Vermarktung streng reglementiert sind. Nur ausgewählte Erzeuger:innen dürfen Pink Lady unter bestimmten Auflagen anbauen. Dazu gehören hohe Lizenzgebühren und eine Vielzahl von Vorgaben hinsichtlich Qualität und Marketing. Laut aktuellen Zahlen von Fruit Logistica gehört Deutschland mit 24 Prozent des europäischen Absatzvolumens zu den wichtigsten Märkten. Die Verkaufszahlen sind im Vergleich zur Vorsaison steigend. Und das bei durchweg höheren Preisen im Vergleich zu regionalen Äpfeln. Dafür haben Pink Lady-Fans Zugang zur Lifestyle-Welt “Pink My Life”: Vom Newsletter über das Pink Lady Online-Magazin, Aktionen. Gewinnspiele und Rezepte bis hin zum Bienen-Rettungsprogramm. Dieser Apfel kommuniziert weltweit und pausenlos. Die Tonality ist verankert im Doppelsprech gängiger CSR-Programme: Nachhaltigkeit, Verantwortung, soziale Werte, ökologischer Fußabdruck - einmal durch den Mixer, dann geschüttelt und gerührt.
Der Apfel aus Brandenburg hingegen stammt aus einem biologisch-dynamischen Betrieb der solidarischen Landwirtschaft. SoLaWis organisieren Lebensmittelproduktion als Gemeingut: Verbraucher:innen finanzieren das Ackerland, teilen sich die Ernte und entscheiden mit, was angebaut wird, unabhängig vom Marktpreis. So entsteht ein lokales Versorgungssystem, in dem der Apfel insofern eine Rolle spielt, als dass er Teil des Systems ist, aber nicht dessen alleiniger Selbstzweck. Die Kultivierung des Bodens, die Erhaltung der Biodiversität, das Denken in Ökosystemen, die Arbeitsbedingungen und die aktive Beteiligung an der Gemeinschaft bilden die Rahmenbedingungen für Anbau, Ernte und Vertrieb. Der Apfel wird dann geerntet, wenn er reif ist und nicht, wenn der Markt es verlangt. Die Transportwege bleiben kurz, die Lagerung ist möglichst energiearm und die Wertschöpfung bleibt in der Region.
Verkauft wurde der Apfel vom genossenschaftlichen Bio-Supermarkt SuperCoop in Berlin, der von seinen 1.800 Mitgliedern gemeinschaftlich betrieben wird. Jedes Mitglied verpflichtet sich, drei Stunden pro Monat mitzuwirken, etwa bei der Befüllung der Regale, beim Kassieren oder im Welcome Desk. Der Supermarkt gehört allen gemeinsam. Somit profitieren die Genossenschaftsmitglieder von jedem Einkauf direkt. Statt Fanclub und Gewinnspiele heißt es für sie: Mitdenken, mit anpacken, gemeinsam riskieren - aber eben auch gemeinsam profitieren von einem Netzwerk, das Mensch, Boden, Klima und Kultur im Zusammenhang denkt.
So viel zu den systemischen Unterschieden beider Apfelsorten im Schnelldurchlauf. Kommen wir nun als Nächstes zu dem in diesem Zusammenhang unvermeidlichen Begriff vom ökologischen Fußabdruck.
Die Erzählmacht der Konzerne
Wenn man Zahlen darüber sucht, wie viele CO2-Äquivalente ein Apfel wie Pink Lady verursacht, findet man wenig Befriedigendes: Die Datenlage hängt immer davon ab, ob der Apfel auf dem Seeweg oder per Luftfracht transportiert wird, in welcher Saison, unter welchen Bedingungen. Wie lange er in welchen Kühlhäusern gekühlt wird. Und natürlich spielt auch die jeweilige Anbaumethode eine Rolle. Bei all diesen bürokratischen Variablen wird einem schnell schwindelig und man wird von der eigentlichen Frage abgelenkt.
Am Ende kann man aber auch einfach den eigenen Verstand einschalten: Es sollte ein No-Brainer sein, dass ein aus dem Süden eingeflogener oder eingeschiffter Apfel im Vergleich zu einer regional erzeugten Frucht auf ein Vielfaches an Emissionen kommt. Hinzu kommt auch noch das Thema der künstlichen Bewässerung: Pink Lady-Äpfel werden oft in Regionen angebaut, die unter zunehmender Wasserknappheit leiden. Äpfel brauchen ca. 700-800 Liter Wasser pro Kilogramm, um zu wachsen. Ich frage mich, inwiefern das zu Nutzungskonflikten vor Ort führt.
Wenn man zu diesen Fragen googelt, stößt man auf eine ebenso dürftige Datenlage. Greenpeace, Food Monitor oder Utopia haben schon vor Jahren kritische Artikel über die zunehmende Dominanz von Clubäpfeln veröffentlicht, aber in der Gesamtheit der Treffer zu “Pink Lady” machen diese nur einen winzigen Bruchteil der Suchergebnisse aus. Ansonsten kontrolliert die Pink Lady-Marketingmaschine die suchmaschinenoptimierte Erzählmacht über ihre Erzeugnisse mit fester Hand. Auf 25 Länder-Websites berichtet der Konzern ausführlich über Anbaumethoden, Kreisläufe und Erträge. Das liest sich flüssig und zum Nutzen aller wohl durchdacht.
Selbst wenn das stimmen würde, bleiben wichtige Fragen offen: Wieso toleriert die Agrar- und Handelspolitik der EU den massenhaft steigenden Import dieser Äpfel, wo doch bei uns vor der Haustür auch wohlschmeckende Äpfel wachsen? Wie ist es möglich, dass die Apple and Pear Australia Limited, die die Marke Pink Lady besitzt, planetare Grenzen derart ausreizen kann, ohne dafür Wettbewerbsnachteile zu erfahren? Warum werden in den EU-Handelsvereinbarungen Naturkosten, die durch die Überschreitung planetarer Grenzen entstehen, noch immer konsequent externalisiert? Wieso nimmt man es in Kauf, dass durch diese Praktiken regionale Erzeuger:innen strukturell benachteiligt werden?
Clubäpfel wie Pink Lady zeigen das Ungleichgewicht zwischen kritischer Aufklärung und marktgesteuerter Sichtbarkeit durch Millionen-Budgets globaler Konzerne. Während unabhängige Stimmen seit Jahren vor den ökologischen und sozialen Folgen des Clubapfel-Systems warnen, dominiert das Storytelling der Markeninhaber die öffentliche Wahrnehmung. Eine exportorientierte Agrarindustrie kontrolliert systematisch Narrative, Marktanteile und Ressourcen auf Kosten von regionalen Alternativen.
Und was machen die Verbraucher:innen? Eine kleine Recherche in meiner lokalen Kaufland-Filiale in Potsdam hat ergeben, dass Menschen offensichtlich bereit sind, im Juli 2025 für ein Kilo Pink Lady-Äpfel 3,33 EUR zu zahlen. Das Kilo Tafeläpfel aus der Region ist hingegen für 2,29 EUR zu haben. Mehr als ein Euro Preisunterschied also. Damit es nicht so auffällt, werden die Pink Lady-Äpfel in hübsch designten 900g-Körbchen zu 2,99 EUR pro Schale verkauft. Aus den herzförmig ausgestanzten Verpackungskartons lugen die rotbackigen Äpfel wie ein Versprechen hervor.
Sind sie denn wenigstens gesund?
Das Gesündeste am Apfel sind neben den Vitaminen vor allem der Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen, in der Fachsprache als Polyphenole bezeichnet. Diese schmecken, wie so vieles Naturgesunde, herb bis bitter. Polyphenole sind entzündungshemmend und schützen die Zellen gegen freie Radikale. Viele alte Apfelsorten, besonders die herben oder sauersüßen wie zum Beispiel Boskoop enthalten um die 200mg Polyphenole pro 100g Frischgewicht.
Die im Vergleich sehr süß schmeckenden Clubäpfel kommen dagegen durchschnittlich nur auf ca. 50-60mg. Das kommt daher, dass der Gehalt an Polyphenolen bei der Züchtung systematisch reduziert wurde - zugunsten des Geschmacks. Somit wird auch hier, wie so oft in der industrialisierten Landwirtschaft, der süße Geschmack zum Verkaufsargument. Hauptsache, der Fruchtzucker ballert, auch wenn es auf Kosten des gesundheitlichen Werts und der natürlichen Vielfalt geht.
Wollen wir noch auf das Thema Pestizide eingehen? Das Verbrauchermagazin Öko-Test fand in einem Test aus dem Jahr 2018 auf Pink Lady-Äpfeln von Aldi Süd gleich drei verschiedene Rückstände von Pestiziden, darunter auch ein als “bedenklich” eingestuftes. Na gut, geschenkt. Diese Art von Meldung haben wir ja bereits verinnerlicht und sind dementsprechend nicht überrascht. Die Ökotante hat ja recht, aber hey, jetzt wird es langsam anstrengend.
Komm zum Punkt!
Der Geschmack der Zukunft
Beim Geschmackstest auf der Creative Bureaucracy-Konferenz, wo die beiden Vergleichsäpfel schließlich zum Einsatz kamen, wurden kaum Unterschiede festgestellt. Die Story dahinter verblüffte dann aber doch viele. Dadurch, dass unser Alltag so vollgestopft ist und wir permanent von irgendetwas abgelenkt werden, haben wir für solche Kausalketten ja meist gar keine Kapazitäten.
Und deswegen gewinnt die Hochglanz-Erzählung der Konzerne: weil sie mit ihren unfassbar hohen Marketingbudgets genau die Millisekunde, die unsere Aufmerksamkeit bei der Wahl eines Produkts durchscheint, maximal adressieren und kapitalisieren können. Sie schaffen es, Bilder und Botschaften in der Zeit eines Wimpernschlags durch die enge Schleuse unseres limbischen Systems zu schicken. Und so entscheidet man sich und greift zu den Früchten mit den Herzen, weil man ja schließlich irgendwo auch noch emotional ist.
Wie wäre es, wenn wir unsere Lebensmittel über Genossenschaften oder SoLaWis oder Hofverkäufe beziehen würden? Ich weiß, dass hier gleich die nächste Komplexität wartet: Aber der Preis! Das ist nur was für Menschen mit Privilegien! Vielleicht, auf den ersten Blick. Auf den zweiten aber zeigt sich, dass wir so oder so zahlen. Nur eben unterschiedlich. Bei Pink Lady zahlen wir mit globalen Transportemissionen, Pestizidbelastung, Markenaufschlag und dem Verlust regionaler Sortenvielfalt.
Der Preis an der Supermarktkasse ist nur ein Bruchteil dessen, was dieser Apfel wirklich kostet. Den Rest zahlen andere: Menschen im globalen Süden, künftige Generationen, letztendlich alle vom Klimawandel Betroffenen.
SoLaWis arbeiten oft mit solidarischer Bepreisung, weil sie genau das nicht möchten: ein Ort nur für Privilegierte zu sein. Die SuperCoop in Berlin oder der Food Hub in München etwa bieten Zugang zu Bio-Lebensmitteln durchschnittlich günstiger als in vergleichbaren Bio-Supermarktketten an. Alle diese Initiativen sind getrieben von der Idee, gesunde und regionale Produkte für Menschen aller Einkommensgruppen anzubieten. Der Vorteil ist: Man muss sich keinen Kopf machen, was man da einkauft oder welche Art von Externalitäten man mit dem Kauf verursacht oder unterstützt. Die Mitglieder von Food Coops wissen genau, wer die Zulieferer sind, sie kennen den Produktaufschlag und stimmen darüber ab, was sozial verträglich ist und was nicht.
Wir haben es selbst in der Hand, in welche Art von Apfel wir beißen wollen. Wir können uns Food-Initiativen anschließen, von deren Wachstum wir selbst profitieren. Wir können (wieder) lernen, uns auf den herzhaften Geschmack alter Sorten und lokaler Obst-und Gemüsesorten einzulassen. Wir können unseren Einkauf zu einem gemeinschaftsfördernden Erlebnis machen und uns an einem kleinen, aber guten Sortiment erfreuen. Wir können unser Konsumverhalten bündeln und genossenschaftlich organisieren. Das braucht Zeit und das kostet auch eine gewisse Anstrengung hinsichtlich Logistik und sozialer Koordination.
Aber diese Mühe zahlt sich aus: Sie sichert uns Unabhängigkeit von globalen Konzernen, stärkt die regionale Wertschöpfung und bringt uns wieder in Beziehung zu dem, was wir essen. Leben und Essen innerhalb planetarer Grenzen ist möglich. Es beginnt mit der Entscheidung, nicht einfach alles hinzunehmen, sondern mitgestalten zu wollen.