Was hat die Ökobilanz eines Produkts mit dem Level an Zeit und Energie zu tun, die mich ihre Nutzung kostet?
Oft höre ich von der Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment) von Produkten: Gemeint ist die Ökobilanz von der Herstellung bis zur Entsorgung. Neulich habe ich mir überlegt, ob ich diese Bilanz auch ausweiten kann auf die emotionalen und gesundheitlichen Ressourcen, die mich die Dinge, die ich täglich nutze, kosten?
Was ist eine Lebenszyklusanalyse?
Die Lebenszyklusanalyse eines Produkts untersucht, welche Ressourcen im gesamten Lebenszyklus benötigt werden – von der Herstellung über Transport und Nutzung bis hin zur Entsorgung. Dabei spielen Faktoren wie Langlebigkeit, Kreislauffähigkeit und Energieverbrauch eine Rolle. Doch was bedeutet das für Nutzer:innen? Wie beeinflussen die ökologischen und sozialen Kosten eines Produkts unser persönliches Leben?
Ein Beispiel: Ein Wasserkocher und seine Ökobilanz
Bei einem Meetup bei der oose eG in Hamburg habe ich neulich gelernt, wie man mit der Modellierungssprache SysLM eine Lebenszyklusanalyse durchführt. Anhand eines Wasserkochers wurde dargestellt, welche Auswirkungen die Wahl der Materialien – etwa Blei- oder Cadmium-Legierungen – und die Lebensdauer auf die Umwelt haben. Gleichzeitig wirkt sich die Qualität des Produkts direkt auf meine persönliche Energiebilanz aus. Denn ein Gerät, das Schadstoffe absondert, ist schlecht für meine Gesundheit. Eines, das frühzeitig kaputt geht, raubt mir Zeit und Nerven. Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder auf: vom Hotline-Marathon bis zur mühsamen Suche nach Ersatzteilen.
Smartphones: Der Tiefpunkt jeder Ökobilanz
Smartphones sind ein Paradebeispiel für Produkte mit enormen ökologischen und sozialen Kosten. Ihre Herstellung erfordert seltene Erden und Metalle wie Kobalt, Lithium und Tantal, deren Abbau häufig unter menschenunwürdigen Bedingungen erfolgt. Die Produktion ist energieintensiv und die Geräte sind oft nur für eine kurze Lebensdauer ausgelegt, was Elektroschrott in gigantischen Mengen erzeugt. Hinzu kommen die Umweltauswirkungen durch Nutzung und Entsorgung, die die gesamte Bilanz zusätzlich belasten.
Zu den sozialen Kosten: Vor allem die iPhone-Herstellung ist mit schwerwiegenden Vorwürfen von Zwangsarbeit verbunden, insbesondere in den Lieferketten. Hier leiden Arbeitskräfte unter ausbeuterischen Bedingungen und fehlendem Arbeitsrechtsschutz. In diesem Artikel des Magazins Business Insider berichtet ein Arbeiter von den Arbeitsbedingungen in einer Fabrik von Foxconn im chinesischen Zhengzhou.
Um die Bilanz abzurunden, sollte man sich noch die sozialen und gesundheitlichen Kosten eines Smartphones aus Sicht der Konsument:innen anschauen: Ständige Erreichbarkeit, dauerhafte Ablenkung durch Benachrichtigungen oder die Fragmentierung der Aufmerksamkeit sind nur ein paar wenige der oft beschriebenen psychosozialen Implikation der Smartphone-Nutzung.
Die Ökobilanz digitaler Produkte und Services als Blackbox
Digitale Produkte wie Streaming-Dienste oder KI-Systeme machen es uns noch schwerer, die Auswirkungen auf Umwelt und persönliche Ressourcen zu bewerten. Was sich im Backend abspielt, ist für unser Auge unsichtbar. Hinter einem einfachen Klick verbergen sich komplexe Prozesse. Rechenzentren verbrauchen immense Mengen Strom, Daten werden global übertragen, und die Endgeräte landen irgendwann als Elektroschrott auf Deponien.
Ein Beispiel: Eine Stunde Videostreaming verursacht 100–175 Gramm CO₂ – das entspricht einem Kilometer Autofahrt. Besonders belastend ist das Streaming über mobile Datenverbindungen, das bis zu 90 Gramm CO₂ pro Stunde verbraucht. Und KI? Eine einzelne Anfrage an Modelle wie ChatGPT benötigt etwa dreimal soviel Energie wie eine Google-Suchanfrage. Wer ist also in der Lage, nach einem langen Arbeitstag mit unzähligen Online-Recherchen, Live-Interaktionen und Datenversand auch nur ansatzweise ein Gefühl dafür zu haben, wie viel Energie verbraucht wurde?
Die Lebenszyklusanalyse als Denkschule
Die Reflexion über die Ökobilanz eines Produkts – sei es physisch oder digital – zeigt, dass unsere Entscheidungen weit über die Umwelt hinausreichen. Es ist zunehmend so, dass jedes neue Produkt, jedes digitale Abo, auch einen Einfluss auf unsere Lebensqualität haben.
Jedes Gerät, das langlebig, reparierbar und ressourcenschonend ist, spart nicht nur CO₂-Emissionen, sondern auch unsere Zeit, Energie und Nerven. Umgekehrt hinterlassen kurzlebige oder intransparente Produkte oft nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen emotionalen und sozialen Fußabdruck.
Es ist an der Zeit, nicht nur die Lebenszyklusanalyse von Produkten, sondern auch die unserer eigenen Handlungen zu verstehen. Denn die Art und Weise, wie wir konsumieren, ist nicht nur eine Frage der Nachhaltigkeit, sondern auch der Lebensqualität. Wer sich weniger mit defekten Geräten, frustrierenden Prozessen oder intransparenten Services herumschlagen muss, hat mehr Raum für das, was unser Leben menschlich macht: Zeit für uns selbst, unsere Beziehungen oder die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft.