Es begann alles so schön: In der Frühphase von Facebook, Twitter & co. wurden uns Plattformen und Tools zur Vernetzung kostenlos bereitgestellt. Das Ganze war einfach zu verlockend, um nicht mitzumachen. Ich kann mich noch gut an das heimelige Gefühl erinnern, als ich im Jahr 2008 anfing, Inhalte zu teilen und dann die ersten Likes und Freundschaftsanfragen reinkamen. Das war der Beginn einer nicht enden wollenden Serie von Dopaminkicks und Zerstreuungen. Wie viele Stunden sind da wohl in all den Jahren zusammengekommen? Dabei ging es jedoch nicht nur um Unterhaltung: Es gab durchaus Zeiten, in denen mit jedem populären Facebook-Post auch die Zahl der Jobanfragen in die Höhe schnellten. Für mich als Selbständige also durchaus ein lebensverändernder Faktor. Auch die vielen Menschen, die ich online traf und dann erst später im “real life”, wie es damals noch hieß, kennenlernte und mich teilweise mit ihnen befreundete, prägen mein Leben bis heute.
Mein Zweitleben auf Facebook lief einige Jahre unterhaltsam und heiter, bis so ca. um das Jahr 2010 herum ein Raunen durch die Online-Welt ging: “If it’s free, you are the product” hieß es mit einem Mal. Damit wurde ein Zitat von Richard Serra aus dem Jahr 1973 populär. Bereits im Jahr 2010 wurde der 31. Mai zum “Quit Facebook Day” ausgerufen, weil viele Facebook’s Umgang mit Datenschutzrichtlinien kritisierten. Nicht allzu viele haben die Plattform damals verlassen. Es war zu dem Zeitpunkt schon vielen klar, dass sie für den Facebook-Exit einen hohen Preis bezahlen müssten. Nicht mehr mit der globalen Gemeinde vernetzt zu sein fühlte sich schon damals bedrohlich an.Als jedoch 2016 der Cambridge Analytica-Skandal rund um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen bekannt wurde, verstanden Menschen weltweit, dass die Daten der Nutzer:innen für politische Zwecke missbraucht wurden. 2018 gab es mit Einführung der europäischen Datenschutzgrundverordnung DSGVO zaghafte Regulierungsversuche von Seiten des EU-Parlaments. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gab sich entspannt und demonstrierte mit seinem Auftritt vor dem EU-Parlament die Macht des Silicon Valley.
Heute, etliche Daten-Skandale später, ist Facebook für mich eine Art Mausoleum geworden. In den seltenen Momenten, in denen ich die App öffne, sehe ich einige meiner Online-Kontakte der Zeit trotzen, manche werden in Traueranzeigen beklagt, eingerahmt in eine Flut von Werbung und den Kochvideos der unausweichlichen Nara Smith. Es bleibt das schale Gefühl, durch mein jahrelanges Posten von Inhalten einiges zum Aufstieg des Konzerns beigetragen zu haben. Alle, die auf Social Media aktiv waren und sind, haben letztendlich unbezahlte Arbeit geleistet und die Rechte auf ihre digitalen Kreationen abgegeben. Das war der Deal. Erstaunlich ist nur, dass ich das ganz zu Beginn einfach nicht gesehen habe. Irgendwann, nach etlichen Jahren, bin ich mit einem Kater aufgewacht.
Aus einem unguten Gefühl ist mittlerweile die Erkenntnis gewachsen, dass Milliarden Nutzer:innen direkt oder indirekt dazu beigetragen haben, dass die globale Wirtschaft heute von einigen wenigen Konzernen dominiert wird. Big Tech, wie man die geballte Power aus Google, Amazon, META, Microsoft, Open AI und anderen nennt, verfügt heute über eine noch nie dagewesene Konzentration an Geld und Macht.
Was genau sind die Probleme von Big Tech?
Monopolmacht
Einige wenige Konzerne wie Google, Apple, Meta, Amazon oder Microsoft dominieren zentrale digitale Märkte wie Suche, soziale Netzwerke, Cloud-Computing, mobile Betriebssysteme und E-Commerce. Das hemmt den Wettbewerb, bremst Innovationen und gibt diesen Konzernen überproportional viel Kontrolle über digitale Infrastrukturen und das Verhalten ihrer Nutzer:innen.
Überwachungskapitalismus
Big-Tech-Plattformen sammeln riesige Mengen persönlicher Daten, um das Verhalten der Nutzer:innen vorherzusagen und gezielt zu beeinflussen – mit dem Ziel der Profitmaximierung.Shoshana Zuboff hat ein sehr aufschlussreiches Buch über den Überwachsungskapitalismus geschrieben. Darin zeigt sie, wie die Aufmerksamkeit und Daten von User:innen an Werbekunden verkauft oder in immer aufdringlichere Algorithmen eingespeist werden.
Algorithmische Manipulation & Desinformation
Algorithmen, die auf maximale Verweildauer und Interaktion optimiert sind, verstärken Empörung, Polarisierung und Falschinformationen. Plattformen wie YouTube, Facebook oder TikTok führen Nutzer:innen so in Filterblasen oder gar Radikalisierungsschleifen – einfach, weil es sie länger online hält.
Ausbeutung von Arbeitskräften und Plattformarbeit
Vom Amazon-Lager bis zum Uber-Fahrer basieren viele Geschäftsmodelle auf prekären Beschäftigungsverhältnissen. Algorithmische Kontrolle und Überwachung am Arbeitsplatz führen häufig zu entmenschlichenden Bedingungen und untergraben Arbeitsrechte.
Politischer Einfluss & Lobbyismus
Big-Tech-Unternehmen investieren Milliarden in Lobbyarbeit, um Gesetze zu beeinflussen, Regulierung zu vermeiden und digitale Governance zu ihren Gunsten zu formen.Ihre Infrastruktur (z. B. AWS, Azure) ist zudem tief in öffentliche Dienstleistungen und militärische Verträge eingebettet, was ihre Macht weiter verfestigt.
Abbau demokratischer Kontrolle
Die Plattformen agieren zunehmend wie quasi-souveräne Akteure: Sie moderieren Inhalte, kontrollieren den Zugang zu digitalen Märkten und gestalten den öffentlichen Diskurs – oft ohne Transparenz oder Rechenschaftspflicht.
Ökologische Auswirkungen
Riesige Rechenzentren, ständige Hardwareproduktion und globale Lieferketten tragen massiv zu CO₂-Emissionen und Ressourcenverschwendung bei.Big Tech übernimmt selten Verantwortung für die ökologischen Kosten dieser permanent aktiven, extraktiven digitalen Systeme.
Abhängigkeit und Infrastruktur-Lock-In
Staaten, Schulen und Unternehmen sind zunehmend auf Big-Tech-Infrastrukturen wie Google Workspace, Microsoft Teams oder AWS angewiesen. Das führt zu Pfadabhängigkeiten und macht einen Wechsel zu ethischen, offenen Alternativen schwer.
Geringe Rechenschaftspflicht
Wenn etwas schiefläuft, ist es schwer, Big-Tech-Konzerne zur Verantwortung zu ziehen. Ihre enormen Ressourcen ermöglichen es ihnen, Top-Jurist:innen zu bezahlen, regulatorische Prozesse auszusitzen und selbst Regierungen in Rechtsstreitigkeiten zu überdauern.
Verflachung kultureller Vielfalt
Empfehlungssysteme, Filterblasen und algorithmische Verzerrungen führen zur globalen Standardisierung von Kultur. Dominante Stimmen werden verstärkt, Kontexte verflacht – ein digitaler Monokulturalismus, der die kulturelle Vielfalt überall bedroht.
Wie können wir Alternativen aufbauen?
Big Tech stellt ernsthafte Herausforderungen für Demokratie, Rechenschaft, Gleichberechtigung und kulturelle Vielfalt dar. Aber: Widerstand ist möglich. Niemand wird gezwungen, bei Amazon zu kaufen. Niemand muss auf Instagram sein. Es gibt Alternativen. Doch diese sind oft unsichtbar, unterfinanziert oder an den Rand gedrängt.
Widerstand gegen Big Tech und der Aufbau sinnvoller Alternativen ist herausfordernd, aber machbar – durch kollektive, technische und kulturelle Strategien. Es beginnt mit der Unterstützung ethischer Technologien wie Open-Source-Tools, dezentralisierte Plattformen, Plattform-Genossenschaften – sie stellen Nutzerautonomie über Profit. Dann ist Digitalkompetenz entscheidend: Menschen müssen verstehen, wie der Überwachungskapitalismus funktioniert und wie sie Kontrolle zurückgewinnen können, etwa durch datensparsame Werkzeuge und verschlüsselte Kommunikation. Politischer und kultureller Widerstand ist ebenso notwendig: durch Kampagnen, Forderungen nach Regulierung und die Vorstellung einer öffentlichen digitalen Infrastruktur. Wichtig: Alternativen müssen nicht Big Techs Maßstab erfüllen – sie dürfen lokal, klein, angepasst sein.Entscheidend ist, dass sie Würde, Gemeinschaft und kulturelle Vielfalt erhalten.
Wie können wir nachhaltige Technologien von Grund auf gestalten?
Wenn wir Big Tech wirklich hinter uns lassen wollen, brauchen wir mehr als ethische Absichten. Wir brauchen koordiniertes Handeln entlang folgender Achsen:
Platform Coops als Ausgangspunkt
Plattformgenossenschaften sind digitale Plattformen, die den Nutzer:innen oder Arbeiter:innen selbst gehören und von ihnen gesteuert werden.Sie basieren auf geteilter Eigentümerschaft, demokratischer Governance, fairer Wertverteilung und transparenter Datenpolitik.Beispiele:
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Stocksy (Fotoplattform von Fotograf:innen),
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Up & Go (Reinigungsdienste in NYC)
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Resonate Music Streaming Collective (Musikstreaming-Genossenschaft)
Diese Projekte kämpfen oft mit Skalierung, Sichtbarkeit und Finanzierung.Hier braucht es ein unterstützendes Ökosystem.
Infrastruktur als Commons
Wir brauchen mehr als einzelne ethische Plattformen – wir brauchen öffentliche, digitale Infrastruktur, auf der andere aufbauen können:
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Open-Source-Code
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föderierte Protokolle wie ActivityPub
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gemeinschaftlich betriebene Server
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Souveränes Hosting
Beispiele:
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Mastodon (dezentrale soziale Netzwerke)
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OpenCollective (Transparente Kollektiv-Finanzierung)
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Solid (selbstbestimmte Datenspeicherung)
Daten als Gemeingut mit Trusts oder Commons-Lizenzen ist ein zentraler Baustein.
Demokratische Governance von Anfang an einbauen
Während Big Tech über intransparente Algorithmen herrscht, muss das Post-Big-Tech-Zeitalter diese Logik umkehren.Governance durch Nutzer:innen:
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Mitbestimmung
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offene Moderation
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gemeinsames Budgetieren
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ggf. auch über DAOs oder Smart Contracts
Tools wie Loomio, Hypha, oder Aragon helfen, kollektive Entscheidungsprozesse direkt zu verankern.
Neue Anreiz- und Finanzierungsmodelle entwickeln
Statt Werbung und Wachstumszwang brauchen wir:
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Mitgliedsbeiträge
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öffentliche Förderung
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kommunale Investitionen in digitale Gemeingüter
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Crowdfunding
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Commons-basierte Tokensysteme
Beispiele:
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lokale Währungen
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digitale öffentliche Güter als politisches Ziel.
Lokalisieren & Kontextualisieren
Gute Alternativen sind keine Einheitslösung. Sie müssen kulturelle, sprachliche und rechtliche Kontexte berücksichtigen. Koordination skaliert nicht wie Uber, sondern wie vernetzte Inseln lokalen Wissens. Die Zukunft liegt in modularen, interoperablen Plattformen – aufgebaut auf Vertrauen, Föderation und gegenseitiger Hilfe.
Bildung, Onboarding & Kulturarbeit
Auch die ethischste Plattform scheitert, wenn sie niemand versteht oder nutzt. Wichtig sind gutes Onboarding, verständliche UX/UI, digitale Grundbildung und transparente Wertschöpfungsketten. Menschen wollen nicht „Plattformen“, sie wollen konkrete Ergebnisse. Alternativen zu den Monopolen der Plattform-Industrie müssen konkret, nützlich und menschlich begreifbar sein.
Wen könnt ihr unterstützen?
Es gibt eine wachsende Anzahl von Initiativen, Gruppierungen und Personen, die auf unterschiedliche Art und Weise die Entwicklung von demokratischen technischen Plattformen unterstützen. Hier sind sind nur einige wenige davon: